Œkumenischer Zürcher Kreuzweg
„Im Gedenken
an Jesu Leiden und Sterben
die Not und das Leiden
von Menschen heute
mit anderen Augen erkennen.
Auf-Stehen in seinem Namen.
Auf-Erstehen mit ihm.“
Mit diesen Worten auf dem Flyer, der alljährlich zum Ökumenischen Zürcher Kreuzweg am Karfreitag einlädt, sind Sinn und Zielsetzung dieses besonderen Weggottesdienstes in Kirchen und auf Strassen und Plätzen von Zürich umschrieben.
Es geht nicht um eine Verherrlichung von Leiden, sondern um Anteilnahme und Solidarität. Der lutherische Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer († 9. April 1945 im KZ Flossenbürg) hat dies mit den Worten ausgedrückt „Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.“
Der erste Ökumenische Zürcher Kreuzweg fand am Karfreitag 1995 statt. Die Initiative dazu ging von einem evangelisch-reformierten Pfarrer aus und wurde von seinen christkatholischen, katholischen und reformierten Kollegen sofort aufgenommen.
Pfarrer Gerhard Traxel hatte in der reformierten Kirche Zürich-Witikon schon seit mehreren Jahren zusammen mit Geistlichen verschiedener Konfessionen am Karfreitag-Nachmittag eine ökumenische Karfreitags-Liturgie gefeiert. Aus dieser wuchs der Kreuzweg im Zürcher Stadtzentrum heraus, der von den Pfarrern Anselm Burr (reformierte Kirche St. Jakob), Franz Stampfli (römisch-katholische Kirche St. Peter und Paul) sowie Georg Ebner (christkatholische Augustinerkirche) mitgetragen wurde.
Die Repräsentanten der christlichen Konfessionen, vornehmlich die Vertreter des Kantons Zürich, sind in der Regel mit dabei. Seit Beginn nehmen auch die orthodoxen Kirchen (griechisch-orthodoxe, russisch-orthodoxe und serbisch-orthodoxe Kirche) teil. Schon bald kamen die evangelisch-methodistische Kirche und die Heilsarmee als Vertreter der evangelischen Freikirchen sowie die evangelisch-lutherische Kirche hinzu. Die baptistische und die anglikanische Kirche schlossen sich später an (siehe auch «Über uns»).
Von verschiedenen Teilnehmenden wird ein schweres Holzkreuz von Station zu Station vorangetragen. Zwischen 600 und 1’000 Personen gehen jährlich diesen Weg mit, der in einer der Stadtkirchen beginnt und auch wieder in einer solchen mit dem symbolischen Ausblick auf Ostern endet. Im Jahre 2009 wurden durch den Luzerner Künstler Anton Egloff für das mitgetragene Holzkreuz Stolen mit Kreuzwegbildern entworfen, die jeweils an den Stationen am Kreuzesbalken aufgehängt werden.
Dieser Weggottesdienst unter freiem Himmel vereint Menschen verschiedener konfessioneller, nationaler und politischer Herkunft mit unterschiedlicher Glaubenserfahrung und Spiritualität. Symbolträchtige Orte im Stadtzentrum wie das Rathaus, der Platzspitz beim Landesmuseum, die Börse, der Paradeplatz als Finanzzentrum, das Migrationsamt, das Obergericht, das Universitätsspital und die historischen Stadtkirchen werden als Haltestationen ausgewählt und mit besonderen Leidens-Dimensionen unserer Zeit – abgestimmt auf den genius loci, also auf die Gegebenheiten des Schauplatzes, dessen spezifische Geschichte, Atmosphäre und Aura sowie auf die Erwartungen der Teilnehmenden – in Verbindung gebracht.
Jede der sechs bzw. sieben Stationen wird durch einen einfachen rituellen Ablauf gestaltet. Nach einer Lesung aus der Passionsgeschichte Jesu, Stille und Gongschlag lenken Sprecher in Texten und Gebeten den Blick auf das, was Menschen heute leiden lässt. Neben Vertretern der verschiedenen Konfessionen haben auch Persönlichkeiten des öffentlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens über die Not und das Leiden von Menschen heute in pointierten Voten Stellung genommen. Diese entbehren oft nicht einer besonderen sozialen und politischen Brisanz. Radiomoderator Andreas Müller-Crépon trägt seit Jahren die Passionslesungen vor. Mit Fürbitten und Kyrie-Eleison-Gesang schliesst jeweils der kurze Stationenhalt.
Der Zürcher Kreuzweg am Karfreitag ist zurzeit das herausragendste ökume
nische Ereignis in der «Zwinglistadt». Dies wegen der umfassenden Breite der Mitwirkung christlicher Kirchen und Konfessionen, aber auch weil der Kreuzweg an diesem hohen religiösen Feiertag in der Öffentlichkeit eine starke christliche Präsenz und Solidarität signalisiert. Dieser einzigartigen ökumenischen Zusammenarbeit in der Stadt Zürich hat die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz 2009 das ŒCUMENICA LABEL verliehen.